Das Konzept der Kongruenten Beziehungspflege nach Rüdiger Bauer
Das Modell der Kongruenz

Einleitende Anmerkung zur Kongruenten Beziehungspflege
von Rüdiger Bauer

Zur Einleitung möchte ich einige wichtige Informationen vorausschicken, die für ein neues Verständnis der Kongruenten Beziehungspflege wichtig sind.

Die Kongruente Beziehungspflege wurde 1990 entwickelt, erstmals 1997 von Rüdiger Bauer beschrieben und hat sich seitdem in vielen Krankenhäusern, Psychiatrien wie auch somatischen Kliniken und in Altenpflegeeinrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz etabliert. In diesen letzten zehn Jahren hat sie sich aber auch wesentlich weiterentwickelt. Nicht nur, dass bald empirische Nachweise der Wirkungen und Wirksamkeiten (Forschungsprojekt der TU München) vor allem für die Altenhilfe vorliegen werden, so haben sich durch neue Instrumente, wie z.B. die Lebensereignisskala und die Beziehungsprozessplanung völlig neue Möglichkeiten der Anwendbarkeit, der Dokumentation und der Evaluation ergeben. Die theoretischen Grundlagen wurden deduktiv und induktiv wesentlich erweitert und die Voraussagen aus der Theorie, etwa die Veränderungswirkung an Symptomen, ohne an den Symptomen direkt zu arbeiten, oder die Bedeutungslosigkeit von Diagnosen für den Beziehungsprozess, haben sich in der Beobachtung vieler Fälle als wahr herausgestellt. Die Kongruente Beziehungspflege will nicht an Symptomen arbeiten, sie will nicht an Diagnosen orientiert Therapiepläne erstellen und durchführen. Sie will einzig und allein wohltuende Beziehung gestalten. Darüber entstehen Wirkungen und Veränderungen mit den Pflegenden und den Patienten, die bisher von den Pflegenden und teilweise von Patienten nur als durchweg positiv für beide Seiten beschrieben wurden. Über 250 Pflegende, die in Kongruenter Beziehungspflege geschult wurden und die alle einen Prozessbericht über die Beziehungsprozessplanung und die Wirkungen auf die Patienten, die Veränderungen der Patienten, die Wirkung und Veränderung an sich selbst und die Institution beschreiben mussten, kommen zu dem Ergebnis einer positiven Veränderung in allen Bereichen. Teilweise wird von ungeahnten Erfolgen berichtet, die so nicht denkbar waren und die die Erwartungen an eine professionelle Beziehungsarbeit überstiegen.

Zielgruppe:
Höchste Wirksamkeit hat das Modell in Altenhilfeeinrichtungen, vor allem bei an Demenz erkrankten Menschen, aber auch hohe Wirksamkeit bei alten Menschen ohne Erkrankungen.

Psychiatrisch erkrankte Menschen.

Somatisch und psychosomatisch erkrankte Menschen.

Patienten in forensischen Kliniken.

Kinder in entsprechenden Einrichtungen.

Über das Modell der Kongruenten Beziehungspflege und über die Prozesse der Einführung sind wir in positiven Gesprächen mit dem MDK Bayern.

Das Modell der Kongruenten Beziehungspflege stellt eine Möglichkeit dar professionelle Beziehungsarbeit zu strukturieren, zu beschreiben, zu planen, zu organisieren und letztlich die Probleme der Beziehungsgestaltung zu lösen und zu klären. Die Qualität einer professionellen Beziehungsarbeit wird beschreibbar und messbar. Für die Gestaltung der Beziehungen wird eine einheitliche Sprache gefunden, was für die Arbeit im pflegerischen Team große Vorteile bringt.

Im Modell der Kongruenten Beziehungspflege wird die Beziehung in fünf verschiedenen Phasen durch die Pflegekraft verantwortlich und zielgerichtet gestaltet. Die Pflegekraft selbst ist dabei das Instrument der Beziehungsgestaltung. Sie ist Teil der entstehenden Beziehung und bearbeitet die entstehenden Wechselwirkungen hin zu einer Symmetrie oder Kongruenz. Kongruenz bedeutet hier zum einen eine Deckungsgleichheit, beschreibt aber zum anderen den Prozess des Zusammenwachsens zwischen der Person der Pflegenden und der Patienten. Aus den Wechselwirkungen heraus entstehen häufig Behinderungen der Beziehungsgestaltung, die durch einen diagnostischen Prozess bearbeitet und gelöst werden können.

Beziehungspflegeplanung

Die Beziehungspflegeplanung ist ein Instrument zur Planung, Durchführung und Evaluation eines Beziehungsverlaufes zwischen Pflegenden und Patienten oder Bewohnern. Die Grundlagen des Instrumentes finden sich in der Darstellung der Psychodynamik der Beziehung von J. Watson (1996), der Dynamik von Beziehungsbehinderungen von R. Bauer (2004) und neuer Erkenntnisse der Neurobiologie von J. Bauer (2006). Der Begriff wurde in der Literatur erstmals 2005 (Kreuzpaintner, Bauer 2005) öffentlich. Das Instrument findet derzeit in vielen Altenhilfeeinrichtungen und psychiatrischen und somatischen Krankenhäusern Anwendung. In Altenhilfeeinrichtungen kann das Instrument grundsätzlich bei allen Bewohnern eingesetzt werden. In Krankenhäusern empfiehlt sich die Anwendung vor allem bei, als sehr schwierig eingeschätzten Patienten und bei Patienten mit längerem Krankenhausaufenthalt.

Die Wirkungen des Konzeptes decken sich mit den Forschungsergebnissen weiter unten.

Biologische Aspekte der Beziehung

In der Planung werden bewusst die Bedeutungen der Lebensereignisse von Menschen durch die Pflegenden erfasst. Positive und aversive Lebensereignisse werden im Limbischen System , vor allem im Mandelkern (Amygdala) biologisch gespeichert (J. Bauer 2006). Die Erinnerung und interaktionelle pflegerische Bearbeitung der positiven Lebensereignisse führt biologisch, über die Fähigkeit des Menschen zur Antizipation, zu Nervenzellaktivitäten, die Netzwerkstrukturen im Limbischen System wieder aktivieren können. Dabei erfolgen u. a. Oxytozinausschüttungen, die das Vertrauen der Bewohner zur Pflegeperson erhöhen. Die Folgen können gesteigertes Wohlbefinden, verbesserte Wundheilung und eine Stärkung des Immunsystems sein.

Organisationsentwicklung geleitet vom inhaltlichen Entwicklungsprozess

Die Grundidee für die Einführung des Modells der Kongruenz ist die Schaffung einer Übereinstimmung zwischen der horizontalen Achse (Beziehung zwischen Mitarbeitern und Bewohnern) und der vertikalen Achse (Beziehungen in der Leitungshierarchie) der Gesamtstruktur einer Einrichtung. Schulungen der Mitarbeiter im Konzept der Kongruenten Beziehungspflege haben den gleichen Stellenwert wie die Leitungsschulungen. Diese führen zu einer Übereinstimmung auf der Leitungsebene hinsichtlich des Inhalts von Pflege. Daraus entwickelt sich, inhaltlich geführt, eine veränderte Organisationsstruktur, die von allen übereinstimmend getragen wird.

Das Pflegeorganisationsmodell in der Kongruenten Beziehungspflege ist die Bezugspflege (primary nursing).

Einführungsprozess:

In kleineren Häusern (ca. 40 Plätze) empfiehlt sich die Schulung aller Mitarbeiter.

In größeren Häusern ist erfahrungsgemäß die Ausbildung von Multiplikatoren erforderlich.

Die zum Einsatz kommenden Methoden sind:

Schulungsunterlagen werden komplett vom Projektträger gestellt.

Der Einführungsprozess muss auf der Leitungsebene besprochen und geplant sein. Während des Prozesses finden innerhalb der Leitungscoachings Abstimmungen statt, so dass der Prozess immer durch die Mitarbeiter und Leitungen reflektiert und angepasst werden kann.

Beispiel Zeitaufwand für eine Einrichtung mit ca. 60 - 80 Plätzen:

4-5 mal 2 Tage Multiplikatorenschulung

2x 2 Tage Mitarbeiterschulung

4x 2 Tage Leitungscoaching

Fakultativ: Gespräche auf oberster Leitungsebene

Dauer: ein Jahr.

Bei Bedarf können weitere Tage zur Vertiefung notwendig werden.

Nach erfolgreicher Einführung empfehlen sich jährliche Reflexionstage und Fallbesprechungstage.

Service: Alle Unterlagen zur Beantragung von Zuschüssen beim KDA werden vom Projektträger vorbereitet.

Der wesentliche Faktor der Veränderung
Wie Büssing, Giesenbauer, Glaser im Jahr 2003 festgestellt haben, ist Gefühlsarbeit in der Altenpflege von gleich hoher Bedeutung wie in der Krankenhauspflege. Die Arbeit der Pflegenden kann nur in „Koproduktion“ mit dem Patienten gut gelingen. Für die dialogisch-erzeugende Arbeit ist es unabdingbar auf die Gefühlslage des Gegenübers einzugehen.

Der wesentliche Faktor im Prozess der kongruenten Beziehungspflege ist die Veränderung der Sichtweise des Pflegenden auf den Bewohner. Dies verändert letztendlich den Pflegenden und erzeugt so einen wechselwirkenden dialogischen Prozess der Übereinstimmung (Kongruenz).

Jean Watson hat in Ihrem Buch Assessing and Measuring Caring in Nursing and Health Science (2002) die Auswirkungen von Beziehungspflege auf Patienten und Pflegenden beschrieben. Sie bezieht sich dabei auf eine Metaanalyse (insgesamt 133 Studien) von Kristina Swanson

Jean Watson macht in ihrem Buch deutlich, dass gelungene Beziehungspflege ein Faktor ist, der neben seiner heilenden Wirkung auf Patienten und Pflegende auch große wirtschaftliche Vorteile bringt.